Tag 17 - mein weggefährte
Die Nacht war etwas durchwachsen. Feliz und Klaus-Peter haben immer mal wieder abwechselnd geschnarcht. Und einige hat es dann doch schon kurz nach 6 Uhr morgens aus dem Bett geholt, wo ich mir nur dachte, ‘Ohne mich’.
Dementsprechend war ich mit Janis eine der letzten, die zu halb neun die Albergue verließen. Janis und ich hatten beide einen kleinen Hunger und gingen gleich um die Ecke in ein Café - erstmal den Ostermontag feierlich mit einem Stück Kuchen genießen.
Da Janis und ich ein ähnliches Lauf-Tempo hatten, starteten wir gemeinsam in den Pilger-Morgen.
Wir kamen schnell in tiefe Gespräche. Janis erzählte von seiner Familie, seiner Ex-Frau und seinen beiden Kindern, welche in Berlin leben. Seine beiden Kinder hatten erst vor kurzem bei ihm den Wunsch geäußert, dass sie ihren Großvater einmal treffen möchten. Janis hatte seinen Vater bis dato über 30 Jahre lang nicht mehr gesehen.
Als ich das hörte, musste ich zwangsläufig an meinen Vater denken, den ich seit etwa 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Und innerlich kam bei mir schon so früh am Morgen ein kleiner Tränenschwall hoch, den ich allerdings nicht weiter raus lassen wollte. Also versuchte ich diese Welle an Emotionen weg zu atmen.
Auch wenn ich immer wieder sage, alle Emotionen sind willkommen, so ist es auch angenehm, sich den Raum selbst zu geben, wie ich auf einen Reiz reagieren möchte und welche Emotionen ich in diesem Moment zeigen möchte.
Familiäre Prägungen können lange tief verankert sein und diese für sich selbst zu erkennen, dass man etwas anders machen kann und möchte, ist ein Prozess. So lernte ich dank einer Verhaltenstherapie in 2016 / 2017 einen neuen Umgang mit meiner Angst. Denn in der Vergangenheit hatte ich gelernt, wenn Angst oder Panik in bestimmten Situationen hoch kommt, diese zu vermeiden. Das führte leider dazu, dass ich eines Tages sogar Angst beim Rad fahren hatte. Und wer mich kennt, ich liebe es auf dem Rad zu sitzen. Es gibt mir ein großes Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung. Es schlich sich langsam eine generalisierte Angst- und Panikstörung ein, die mich in meinem Leben, wie ich es führen wollte, einengte.
Ich bin daher auch eine Befürworterin von Psychotherapien, wenn es darum geht, für sich selbst eine Lebensqualität wieder zu erlangen. Denn mit einer solchen Angst- und Panikstörung gehen meist weitere Negativ-Spiralen einher, wie sich selbst aus Überforderung auszugrenzen, wodurch soziale Kontakte noch weniger werden, depressive Verstimmungen bis hin zur Depression und vieles mehr.
Janis fragte mich in diesem Zusammenhang, ob ich denn noch immer bestimmte Situationen aus Angst vermeiden würde, wo ich nur entgegnete, ‘Besten Falls, Nein’ - denn einer meiner wichtigsten Werte ist das Abenteuer! Und dazu gehört es, mich in unbekannte Situationen zu begeben und in diese mich hinein zu entspannen, um einen klaren Kopf zu behalten sowie Genuss zu erfahren :-)
Wir hatten viele Themen über die wir uns austauschten, auch das Thema Müll in der Umgebung bzw. Natur. Denn auch diesmal fielen mir so vielen Dinge ins Auge und dank meines wesentlich leichteren Rucksacks ging ich in Action, holte mir eine Tüte, um dort Müll einzusammeln, wo wir lang liefen bzw. es möglich war.
Und irgendwann kamen wir darauf, dass wir beide auf der selben Oberschule in Berlin waren, nur Janis ein paar Jahre vor mir und nur für kurze Zeit. Er kannte sogar noch einige Lehrer und Lehrerinnen sowie den damaligen Schulleiter.
Da muss man erstmal auf dem Camino Portugues da Costa unterwegs sein, um solche Begegnungen zu haben - verrückt!
Zwischendrin, noch eine gute Stunde von unserem Ziel Esposende entfernt, holten wir uns einen Stempel in der Kirche von Fonte Boa. Obwohl gerade umgebaut wurde, waren die beiden anwesenden Personen sehr freundlich und zeigten uns abschließend noch ihre baldige Lichtershow. Ich hatte das Gefühl, das kommt einer Theater-Aufführung gleich. Bei Google Maps gibt es mal einen Eindruck davon -> Kirche Fonte Boa
Anschließend gab es mein erstes Pilger-Menü im Café Central - mit Suppe, Auswahl an Hauptgericht (mit Fleisch oder vegetarisch), Kuchen-Auswahl, Kaffee sowie Kaltgetränk. Und Summa Summarum: 11 €
Gut gesättigt, ging es auf die letzten Kilometer des Tages weiter.
Zwischendrin liefen Janis und ich, getrennt voneinander. Ihm ging es emotional weniger gut und er brauchte etwas Zeit für sich. Ich nahm diese Traurigkeit, die da auch von ihm aus kam, wahr und fühlte mit. Setzte mir daher Musik auf die Ohren und ließ auch meinem aufkommenden Gefühl von Traurigkeit nach. Empathie!
Wir kamen als eine der letzten in der Albergue de Peregrinos in Esposende an. Liefen noch zuvor über den violett-farbenen Teppich, der extra für uns ;-) - natürlich für die Osterfeiertage in der Innenstadt ausgerollt wurde.
An diesem 3. Abend hatte ich das erste Mal mit einer Blase zwischen meinen kleineren Zehen am linken Fuß tun. Mir wurde von einer etwas abwegigen Methode berichtet, wie man die Blase öffnen kann und diese langsam abfließen lässt - Nadel und einen Faden durch die Blase ziehen. Hat das anfangs gebrannt - weiß auch ehrlich nicht, wie gut die Methode an sich war. Denn die Blase ist zwar nur noch einmal wieder gekommen, aber die Haut sieht merkwürdig aus.
Nur für uns ausgerollt ;-)
In der Albergue waren auch Klaus-Peter und Suzanna angekommen und so machten wir mit unseren gesammelten Frühlingszwiebeln, die wir frisch vom Feld mitgehen lassen hatten, sowie weiteren Zutaten ein leckeres Abendessen. Denn um zu einem nächsten Restaurant zu kommen, hätten wir wieder runter in die Stadt gemusst und das waren eindeutig genug Kilometer für heute.
Einweg-Matratzen-Bezüge
Somit gab es ein Camino Family Dinner - mit gemütlich draußen sitzen, bei Bier und Wein sowie dem Schmerzfrei-Pflaster überhaupt…
Denn unser 5. Mitglied in der Camino Familie trat auf die ‘Bühne’ - Mook aus Südkorea mit seinen Wunder-Pflastern, von denen sowohl Klaus-Peter als auch Janis schwärmten, dass ihre Fußbeschwerden auf einmal so viel besser wären. Wir sollten an anderer Stelle mehr dazu erfahren ;-) Erstmal German Klassenfahrt, denn zu uns gesellte sich ein Pärchen aus Hamburg… der Abend wurde lang, nur ich schlüpfte alsbald ins Bett! Ich hatte wirklich Schlaf nachzuholen.