Tag 16 - Mit Kanonenschüsse in den ostersonntag
Der erste Morgen auf meiner Pilgerreise…und es ist Ostersonntag!
Das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass ich an einem Feiertag nicht Zuhause in Berlin bin und nicht zu meiner Mutti und Oma fahre. Schon komisch und dank moderner Kommunikation, wie dem Telefonat, einfach zu überwinden.
Bisher hatte ich schon häufiger zwischendrin mit meiner Oma telefoniert - eine treue Begleiterin in meinem Leben!
Einen solchen Menschen an der Seite wünsche ich jedem Menschen!
Ich war an diesem Morgen die letzte, die die Albergue verließ.
Bei Feuerwerk und hin und wieder Kanonenschüssen praktizierte ich am kühlen Morgen Yoga auf meiner Matte draußen im Hof.
Es tat gut, vor allem die Hüfte wieder etwas zu lockern und mich mental auf die bevor stehende Etappe vorzubereiten.
Noch etwas schwerfällig, wieder in Gang kommend, ging es auf in Richtung Vila do Conde.
Der Atlantik zu meiner Linken war stürmisch und aufbrausend - so eine Wohltat für mich jeden Morgen Meeresrauschen, eine Brise um die Nase und ganz viel Natur - besten Falls :-)
So sehr ich auch die Momente des Weges genoss, so sehr wusste ich, dass werden heute wieder nicht mehr als 10 - 15 Kilometer. Und wenn ich den gesamten Weg in etwa 14-16 Tagen schaffen möchte, muss ich unbedingt noch den Rucksack leichter bekommen.
Vorbei an einladenden, Menschenleeren Stränden konnte ich zum Teil die sich in Gang setzenden Oster-Prozessionen beobachten. Viele Menschen standen dafür teils vor ihren, Tags zuvor gereinigten Terrassen, und warteten darauf den Segen der Kirche zu erhalten. Zur Oster-Tradition in Portugal schreibe ich etwas später im Beitrag mehr.
Ich kam nur schleppend voran, machte Pausen, trank mein Wasser und noch vom Tag zuvor zubereitetes Essen um meinen Rucksack etwas leerer zu bekommen.
Musste mehrmals meine Wanderschuhe voll Sand entleeren und nachdem ich Vila do Conde durchlief, entschied ich mich in Póvoa de Varzim die Albergue de Peregrinos anzusteuern.
In der großen Stadt angekommen, musste ich noch mit anderen Pilger*innen bis 14 Uhr warten, da die Albergue erst dann öffnete.
Ein entscheidender Ort, wie sich im Nachhinein heraus stellen sollte - denn hier traf ich auf meine Pilger-Familie.
Im Schatten, auf dem Absatz zum Eingang eines japanischen Restaurant sitzend, telefonierte ich gerade mit meiner Mutti als ein bärtiger Mann mit Hut und eine junge Frau auf mich zukamen. Die beiden hatte ich schon mal gestern kurz auf meinem Weg gesehen. Irgendwas wurde ich gefragt, hatte es aber nicht gleich mitbekommen und dann nur noch ein ‘Telefonier mal erstmal mit Muddi zu ende’ entgegnet bekommen.
Meine Dialekt-Kenntnis sagte mir Berlin oder Brandenburg ist da vor mir stehend :-D
So lernte ich Klaus-Peter (alias halb selbst gewählt) und Suzanna (alias hab ich gewählt) kennen. Beide aus dem schönen Werder an der Havel kommend.
German Klassenfahrt wird das wohl…
In der Albergue angekommen, werde ich das erste Mal mit Einweg-Bettbezügen sowie Kissenbezügen konfrontiert und darf meinen Schlafsack auspacken. Schon Angst gehabt, den umsonst mitgenommen zu haben.
Am Empfang der Albergue frage ich auch, ob es eine Möglichkeit gibt, einen Teil meiner Sachen nach Santiago vorzuschicken. Ich bekomme einen Kontakt und fange an meinen Rucksack zu sondieren.
Klaus-Peter meinte nur
’2 T-Shirt, 2 Schlüpper, 2 Paar Socken und 2 Paar Hosen - kurz und lang, mehr brauchste doch nich’
Einfacher gesagt als getan. Langsam tastete ich mich an den Inhalt meines Rucksackes heran und es war nach 45 Minuten ein kleiner Beutel gepackt, der wahrscheinlich mir insgesamt 3 Kilogramm Gewicht abgenommen hat. Ich war froh an Tag 2 eine Lösung gefunden zu haben, ohne meine Kleidung zu spenden, weg schmeißen zu müssen, sondern lediglich für etwas mehr Geld, 60 €, nach Santiago senden zu können. Die andere Pilgerin Feliz, aus Suriname, schon seit längerem in den Niederlanden lebend, erzählte sie nehme ‘Camino facil’ in Anspruch. Da werden einem zu jeder Station, wo man am Ende eines jeden Tages nächtigt, die Tasche / Rucksack / Koffer hingesendet. Da ich allerdings die aussortierten Dinge auf der Pilgerreise wirklich nicht benötigte, gingen diese gleich nach Santiago.
Froh, diese Entscheidung getroffen zu haben, zog ich am Nachmittag noch durch die Straßen von Póvoa de Varzim. Es waren Himmel und Menschen an diesem Ostersonntag unterwegs und sehr viele Geschäfte geschlossen und die Restaurants überfüllt. Um den Segen der Kirche zu erhalten, streuten die Hausbewohner*innen einen Blumenteppich vor ihren Türabsätzen und warteten bis der Pastor der Kirchengemeinde mit der Jesusfigur am Kreuz eintrat. Diese Tradition der katholischen Kirche wird compasso genannt.
Da ich am Strand keine Ruhe zum Schreiben fand, entschloss ich mich in ein kleines Bubble Tea Café zu setzen und als Oster-Schmankerl eine Waffel mit Banane und einer Form portugiesischer Nutella zu essen. Lecker!!!
Abends ging es dann mit Klaus-Peter, Suzanna, Janis (ursprünglich aus Berlin, jetzt in Alicante lebend) sowie Harry (aus Großbritannien) zum Abendessen. Auf dem Weg dahin überraschte uns Harry ziemlich schnell mit seinen perfekten Deutsch-Kenntnissen - also doch German Klassenfahrt!
Wir hatten einen gemütlichen und lustigen Abend in unserer Runde. Wie schnell sich vorher noch fremde Menschen auf einmal Schritt für Schritt näher kommen und kennenlernen… immer wieder schön!
Dieser Weg macht es auf jeden Fall möglich.