Tag 21 - zum kotzen
Gestern Nachmittag hat es mich erwischt. Nachdem ich gerade so noch das kleine Fährboot in Caminha nach A Guarda bekommen habe, war der Tag ziemlich durchwachsen. Kleine Niesel-Schauer, konstant leichter Wind und immer links von mir der Atlantik.
Zunächst dachte ich, heute laufe ich sicherlich viel alleine, da meine Caminnho Famiie schon eine Etappe weiter ist.
Auf dem Boot hab ich neben Jon aus San Sebastian, Spanien, gesessen. Er erzählte mir, dass der Bootsführer mich eigentlich nicht mehr mitnehmen wollte, weil ich kurz vor 8:30 da war und das Boot schon 8:27 los wollte. Ich schrie noch ‘Hej, Hej, Hej’ und Jon meinte, er hätte mit ihm gesprochen, dass ich doch sehr energisch gewesen sei und das wohl den Bootsführer zum Umdenken bewegte.
Mein Glück! So viel zum Timing :-D
Statt uns zu verabschieden, lief ich mit Jon eine gute Weile. Er erzählte mir, dass er vor kurzem seine kleine Firma, nach über 30 Jahren, verkauft habe und er daher unter anderem den Weg läuft, um sich wieder mehr mit sich selbst und seinen Herzenswünschen verbinden zu können. Seine Arbeit und die Verantwortung für die Firma bestimmten einfach zu sehr sein Leben. Da wir nun in Galizien, Spanien, waren, erzählte er mir auch ein paar geschichtliche Hintergründe. Da mir die Architektonik der Gebäude gleich am Hafen ins Auge fiel, welche Einflüsse verschiedener Länder wie Japan, Karibische Inseln und mehr aufwies. Schon waren wir beim Thema Seefahrt und Kolonialisierung, wo die Spanier, genauso wie die Portugiesen, einen großen Anteil dran hatten.
Jon hatte ein ordentliches Tempo drauf, wo ich als die Jüngere von uns beiden Schwierigkeiten hatte mitzuhalten. Es ist wirklich immer wieder schön, dass unser Körper fern ab des Alters, fit für körperliche sowie mentale Herausforderungen ist. Sodass Jon über 30 km am Tag läuft und ich bei insgesamt 21 km am Ende des Tages blieb.
Schnecken-Tempo war das definitiv am gestrigen Tag nicht, wie die Bilder zeigen ;-) Wir hatten unsere Freude mit der Natur und unseren Gesprächsthemen.
Etwas schneller als die Schnecke war ich dann doch
Jon immer nur von hinten
Der Caminho Potuguese da Costa ist von seiner Wegbeschaffenheit immer sehr verschieden - wie das Leben auch. Man läuft durch recht naturbelassene Abschnitte, welche eine gewisse Romantik haben und dann ist man wieder einen gewissen Abschnitt mehrere Kilometer entlang einer Bundesstraße unterwegs. Kommt immer auf die Perspektive in diesem Moment an. Im Auto sitzend, freue ich mich auf einer gut zu befahrenden Straße unterwegs zu sein und als Pilgerin, eher weniger. Oder vielleicht doch, wenn ich manchmal nur vorwärts und ankommen möchte?!
In einer kleinen Kapelle am Wegesrand machten wir Pause. Die Kapelle war sehr schlicht und noch zwei weitere Pilgerinnen aus Deutschland machten hier Pause. Jon hat gefühlt Hummeln im Hintern, da er noch ein etwas längeres Etappenziel hat und wir verabschieden uns mit einem jeweiligen Wangenkuss links und rechts. Etwas ungewohnt für mich :-D
Ich merke, nachdem ich die Pause hatte, dass ich deutlich langsamer werde. Und überlege daher auch, wo ich über Nacht bleiben möchte. Daher steuere ich eine sehr schöne Herberge in Viladesuso an.
Auf dem Weg dahin, jetzt allein, werde ich emotional. Spüre für einen kurzen Moment dieses Alleinsein im ganzen Körper. Und wie es so sein darf, tauchen in diesen Augenblicken gerne Wesen auf, die es erträglicher machen. Ein junges Pferd, welches neben des Weges auf einer Koppel steht, trabt heran und es beschnuppert meine Hand. Ich fühle, wie meine Tränen raus wollen und lasse es zu, auch wenn ich nicht weiß, ob wer des Weges kommen könnte. Es dürfte mir egal sein, ist es aber irgendwie doch nicht - in der Öffentlichkeit zu weinen.
Das junge Pferd hält für die Augenblicke, wo ich weine, inne und beobachtet mich. Und holt mich dann mit gezielten Versuchen an meinem Ärmel zu zupfen, wieder ins Lachen, in eine gewisse Leichtigkeit, dass alles okay ist. Dankbar für diese Erfahrung, laufe ich weiter.
Kurz vor der Albergue, hole ich mir noch an der Dorf-Tankstelle eine kleine 7up und eine Tüte Haribos, welche ich in Rekordzeit auffuttere. Vielleicht einer der Übeltäter, denn während ich mich ausruhe, merke ich, wie mir kalte Schauer durch den Körper ziehen und eine gewisse Übelkeit im Magen vorhanden ist. Ich raffe mich aus meinem Etagenbett und eine kleine Odyssee bis Mitternacht beginnt.
Ich muss mich herzlichst übergeben! Zum Glück noch rechtzeitig über dem Waschbecken im Waschraum. Ein Gefühl von Scham kommt hoch, obwohl niemand gerade im Raum ist und mich dank einer enorm laut schleudernden Waschmaschine nicht hören kann. Dennoch rufe ich ‘Sorry’ - wie bescheuert, kann es schließlich nicht ändern.
Meine Mitpilgerinnen, einerseits um die 60 aus Großbritannnien und die beiden Frauen aus Deutschland sind sehr fürsorglich. Ich bekomme etwas später, ein paar Chips, um dem Körper etwas Salz geben zu können. Dazu in Mini-Schlücken Tee. Alles bleibt auch für bestimmt 2 Stunden zunächst im Magen, bevor dann wieder die nächste Welle los geht. Da ich im Etagenbett oben liege und nicht weiß, wie schnell ich es von dort immer zur Toilette schaffe, lege ich mich auf die Coach, wo ich auch die ganze Nacht verweile. Kurz vor Mitternacht ereilt mich nach längerer Pause dann noch eine 3. Welle. Danach sollte endlich Ruhe einkehren, wenn auch das Schlafen eher kaum möglich war. Währenddessen schreibe ich über WhatsApp mit dem Alberguebesitzer Patrick und frage nach einer Busverbindung sowie ärztlicher Behandlung. Mit seiner Frau zusammen, schauen sie kurz nach Mitternacht nochmal bei mir vorbei und meinen, falls irgendwas noch schlimmer werden sollte, möge ich mich bitte melden.
Sehr viel Herzlichkeit kommt mir in diesem Moment entgegen und ich bin sehr dankbar dafür!!!
Die Nacht sieht man mir an - auf den Bus wartend, um kurz vor 8 Uhr morgens
Da der nächste Morgen ein Samstag ist, hatte ich vorweg schon so ein Gefühl, dass gegebenen Falls entweder der Bus gar nicht fährt oder zu einer anderen Uhrzeit.
In der Dorf-Tankstelle frage ich nach und bekomme die Antwort, dass keiner fährt. Na toll dachte ich bei mir - Dorf halt! In der Hoffnung, es könnte doch noch einer kommen, warte ich am Straßenrand. Überlege ob ich es mit Trampen versuche und entscheide mich dann doch, in der Tankstelle Haferflocken für ein Frühstück zu kaufen und ne Cola ohne Zucker. Dorf-Tankstelle mit den notwendigen Lebensmitteln, wie in einem Tante Emma Laden. Zurück in der Albergue gibt es zunächst Cola und dann mit Wasser aufgequollene Haferflocken - Was für eine Kombination :-D
Beides trägt dazu bei, dass ich mich Stück für Stück wieder etwas wohler fühle. Leichte Kost und alles bleibt im Magen!!! Super!
Patrick, der Albergue-Besitzer, ruft mir dann ein Taxi und so fahre ich in ein recht günstiges, dafür ruhiges Hotel in der Innenstadt von Baiona. Kurz noch in die Apotheke, mir wird Iberogast empfohlen.
Das ist ja wie Zuhause, denke ich.
Das ist für mich in Kindheit und Jugend ein häufiges Mittelchen gewesen, wenn wieder durch Stress oder anderes, viel Unruhe in Magen und Darm herrschte. Das letzte Mal habe ich Iberogast für recht viel Geld in Auckland in einer Apotheke gekauft.
Und dann ging es auch schon ins Hotel. Da ich noch auf mein Zimmer warten musste, es war schließlich erst nach 10 Uhr morgens, legte ich mich in eine Ecke auf eine Sitzbank mit zwei Kissen, bis irgendwann ein ‘Hola, Chica’ kam und mich aus meinem Dämmer-Schlaf holte.
Mein richtiges Bett wartete…